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| Deux textes sur le travail de David Steinbacher en allemand
Fotografische Verfremdungen:
David Steinbachers Digitale Sicht
Ein Bergsee, eingebettet in eine kupfern leuchtende Landschaft, Spiegelungen zwischen schneebedeckten Abhängen und steilen Felsen. Was ist hier positiv, was ist negativ? Was ist Realität, was ist Abbild? Ein metaphorisches Bild, ein fotografisches Gemälde mit Symbolkraft für einen Tiroler Künstler – die Quelle des Flusses Inn. Doch Vorsicht! Auch hier verbirgt sich sanfte Ironie. Das Sublime dieser strotzenden Berglandschaft wird durch einen besonderen bildtechnischen Effekt gebrochen.
Elektronische Leiterplatten dienen David Steinbacher als fotosensibles Trägermaterial zur Produktion seiner Serie Digitale Sicht. Das Faszinosum dieser künstlerischen Zweckentfremdung liegt zweifellos im Wechselspiel zwischen Technik und Kunst begründet: zum einen in der Tatsache, dass sich die moderne Elektronik eines fotografischen Verfahrens bedient, und zum anderen, dass das Medium Fotografie von seinem Ursprung her ein technisches System der Bilderzeugung ist. Die ersten Fotografien, die sogenannten Daguerreotypien, waren ihrerseits silberbeschichtete Kupferplatten, die nach der Belichtung in einer Camera obscura durch Joddämpfe entwickelt wurden. Als Direkt-Positive waren sie Unikate und deshalb besonders preziös.
David Steinbachers Fotografien erinnern in ihrer optischen Anmutung ein wenig an diese alten Daguerreotypien. Ihr technischer Verfremdungseffekt beruht nicht nur auf einer ganz spezifischen Monochromie, sondern auch auf einem Positiv-Negativ-Effekt und einer strahlenden Semitransparenz, die in der Reproduktion nur teilweise wiedergegeben werden kann. Durch Hinterleuchtung wirken die Platten wie Lichtkästen, deren Bildwirkung sich je nach Betrachterstandpunkt verändert.
Motive und Sujets der Digitalen Sicht sind hingegen den klassischen Genres verpflichtet: Porträt, Landschaft, Architektur. Ein hervorragendes Beispiel ist dabei die Werkgruppe der Brücken, unter anderem in Venedig und Innsbruck. Im Stile eines Denkmalschützers des 19. Jahrhunderts und mit der Attitüde eines Edouard Baldus, Charles Marville oder Eugène Atget hält David Steinbacher diese Bauwerke fest - jenseits romantischer Bildsujets oder Venedig-Klischees. Direkt und unprätentiös vermittelt er dem Betrachter jene Passagen und Übergänge, die für den klassischen Flaneur in der Stadtlandschaft so wichtig sind. Ein Fensterblick aus dem Atelier ist bei David Steinbacher keine autoreferentielle Nabelschau, sondern schlciht und einfach das Festhalten der tagtäglichen Inspirationsquelle. Und auch hier werden wir wieder an Fotohistorisches erinnert: Ist nicht die älteste erhaltene Fotografie von Nicéphore Nièpce ein Blick aus dem Fenster? Und ist nicht dieser Blick seinerseits eine kulturgeschichtliche Bezugnahme auf das Tafelbild als Fenster in eine andere, in eine künstliche Welt?
Genau in diesem Vexierspiel von historischen Referenzen und aktuellen Statements, von persönlichen Einflüssen und kulturellen Bezügen, von inneren und äußeren Bildern situieren sich David Steinbachers fotografische Arbeiten. Sie sind als visuelle Kommentare über die uns umgebende Welt zu lesen. In der Digitalen Sicht werden sie um die Dimension der Verfremdung erweitert, eine Verfremdung, die aus dem Spannungsverhältnis zwischen Bild und Technik erwächst. In diesem Sinne sind sie auch metafotografisch zu interpretieren: als Standortbestimmung des fotografischen Bildes in der Gegenwart.
Arno Gisinger, im September 2003
Fotografische Demarkationslinien:
David Steinbachers Geteilte Sicht
Frisch aufgetragene Straßenmarkierungen teilen das Bild optisch in eine linke und eine rechte Hälfte. Rot-weiß-rote Markierungshüte leuchten als aufeinander folgende Farbpunkte auf dem grauen Asphalt und verlieren sich in einem fernen Horizont. Durch die konsequente Anwendung eines einheitlichen Bildausschnittes und die Betonung der Zentralperspektive entstehen dreidimensionale Kippbilder, die den Raum sowohl vertikal als auch horizontal strukturieren. Unscheinbar und lapidar präsentieren sich diese Straßenszenen auf den ersten Blick. In ihrer Wirkung verweisen sie auf die ältesten historischen Fotografien, die durch ihre überlangen Belichtungszeiten jegliche menschliche Präsenz aus den Bildern selbst belebtester Boulevards verschwinden ließen. Keine Menschen sind zu sehen, keine Fahrzeuge. Nur leergefegte Straßenstücke und ein geteilter Himmel - so weit das Auge reicht. Neutrales, ja fahles Licht in einer aufgehobenen Zeit. Variationen des Immergleichen, scheinbar.
David Steinbacher setzt Zeichen. Und er transformiert diese Zeichen in Fotografien. Im Fahren, sozusagen on the road. Seine Straßenserie mit dem Titel Geteilte Sicht entstand und wächst als work in progress, als eine fortlaufende Reihe kleinformatiger Farbbilder (18 x 24 cm), die - mit ihren schwarzen Negativrändern geprintet und typologisch angeordnet - fotografische Tableaux bilden. Die Fotografien entstehen nach einem strengen Konzept und wirken gleichzeitig wie ein ironischer Kommentar zur Konzeptkunst der 1960er und 70er Jahre. Sie erinnern an Arbeiten wie Ed Ruschas Gazoline Stations oder Hamish Fultons fotografisch festgehaltene Landvermessungen. Sie sind einem dokumentarischen Gestus verpflichtet, ohne jedoch bedeutungsschwanger auf bestimmte Inhalte zu verweisen, wie etwa die Typologien der untergehenden Industriekultur von Bernd und Hilla Becher.
Die Geteilte Sicht arbeitet mit einem dokumentarischen Stil. Denn sie dokumentiert im Grunde nichts. Außer einer ganz bestimmten Sichtweise, und dies ist nicht eben wenig. David Steinbacher thematisiert die Teilung des Raumes, die Markierung von Rändern, das Bestimmen von Demarkationslinien. Es geht um das periodisch aufzufrischende Bestätigen von Abgrenzungen, um die Erneuerung der auf einem Regelwerk fußenden Konventionen. Hier dargestellt am Beispiel der Straßenverkehrsordnung, also der Regelung jenes Raumes, der für unsere Fortbewegung bestimmt ist. Die Straßenmarkierung als konventionelles Zeichen, das in ihrer fotografischen Transformation eine neue Bedeutung erhält. Das besondere liegt vielleicht in der leichten Verrückung des Standpunktes: Fotograf und Betrachter stehen (oder besser: fahren) dort, wo der Autofahrer besser nicht fahren sollte, nämlich in der Mitte des Raumes.
Die Geteilte Sicht dokumentiert einen Akt, eine kurze Zeitspanne, ein Hier und Jetzt, das in dieser Form nur das fotografische Medium vermag. Sie dokumentiert eine kleine Spur auf einer breiten Trasse. Und sie bedient sich auf intelligente Art und Weise kollektiver Bilder, indem sie auf ein cinematografisches Bilderrepertoire referiert, das von Charlie Chaplin bis Wim Wenders reicht. Auch wenn es sich nicht um den amerikanischen Westen und seine Mythologien, sondern um banale österreichische Landstraßen und Landschaften handelt. Doch genau diese Banalität macht ihren besonderen Reiz aus.
Arno Gisinger, im September 2003
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